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Und im Nachtzug nach Innsbruck ein sehr junger Flüchtling aus Somalia, der mich fragt: „Ist sie schön, diese Stadt, in der du lebst, diese Stadt, die sich Ankunft nennt?“
Barbara Zelger

Geboren 1982 in Sterzing. Kindergartenpädagogik-Ausbildung in Brixen. Theaterpädagogik-Lehrgang in Brixen. Germanistik-Studium in Innsbruck und Maribor, Abschluss mit der Diplomarbeit „Phänomene von Grenzüberschreitungen am Beispiel von Ilma Rakusas Mehr Meer“. Erfahrungen im DaZ-Unterricht. Aktuell Mitarbeiterin bei Projekten der Textanalyse und Referentin in den Bereichen Sprachförderung und Literatur. Lesungsmoderationen. Lesungen in Süd-, Nord- und Osttirol, Wien, beim 8. Alpe-Adria-Literatursymposium in Gmünd (Kärnten) und beim 15. Höhenflug-Literaturfestival in Zug (Schweiz).

 

Veröffentlichungen von Lyrik und Prosa in Print- und Onlinemedien

  • Cognac & Biskotten, Ausgaben 33, 34, 35; Literaturzeitschrift 2011, 2012, 2013.
  • www.provinnsbruck.at; Kulturreportagen 2011-2014.
  • Festschrift des Österreichischen Austauschdienstes 2012.
  • Erfahrungen und Werte; Gedankenwettbewerb Europäisches Forum Alpbach 2013.
  • Uhura, Ausgaben 21, 22; Literaturzeitschrift 2015, 2016.
  • Innsbrucker Mädels (be)schreiben; Anthologie 2015.
  • 39NULL Magazin für Gesellschaft und Kultur; Ausgabe 4, 2016.
  • Fremd. Literatur aus Österreich. Anthologie zum Forum Land Literaturpreis Niederösterreich; AV Buch, 2016.
  • komplex Kulturmagazin Innsbruck; Ausgabe 6, 2017.

+ Leseprobe

Flucht in den Zug

Am Freitagabend beim Weinfest am Rande Wiens spazieren wir zwischen Hunderten von Leuten, probieren wir Rebsorten und dazugehörige Weingüter aus, unterhalten wir uns und lassen unsere Handykameras klicken. Einige Stunden später sitzen wir im Zug zurück nach Wien, der eine Weile noch still steht.

In unsere Unterhaltung vertieft, hören wir die bedrohenden Rufe nicht. Spüren die Angst dessen nicht, der sich neben uns setzt. Erkennen die Sprache nicht – hören kaum hin –, in der er aufgeregte Sätze in sein Telefon spricht. Nehmen aber wahr, dass ganz plötzlich ein groß gewachsener junger Mann den Wagen betritt, mit den Augen in unsere Richtung blitzt und – noch bevor der Zug abfährt – die Notbremse zieht. Er fixiert den jungen Mann auf dem Sitzplatz neben uns, während er langsam und drohend auf ihn zuschreitet. Die ersten Worte fallen. Es entspinnt sich ein Streit, in dem es um die Herkunft des jungen Mannes geht, der nun mit angstvollem Blick aufsteht. Ein Schimpfwort – immer dasselbe – fällt: „Du…!“ Fällt gemeinsam mit der Aufforderung, doch nach Afrika zurückzukehren, woher ursprünglich der junge Mann neben uns stammt. Niemand hilft oder setzt sich ein. Wir blicken uns an – was tun? Mut fehlt auch uns, auch uns fehlt leider der Mut. Doch dann der Befehl: „Komm mit auf den Bahnsteig!“ Draußen warten weitere zwei Männer auf ihr einzelnes Opfer. Das können wir nicht zulassen. Doch wie sollen wir helfen? Die Angst, die eigene, hemmt.

Der junge Mann will nachgeben und mit nach draußen, hält die Spannung im Zugabteil nicht mehr aus, wie er uns später erzählt. Lieber es hinter sich bringen als diese würdelosen Beschimpfungen, diese Beschimpfungen. Er macht sich auf den Weg, hinter seinem Peiniger her, will nach draußen, dem überheblichen Lachen des Peinigers hinterher. Ich schaue die anderen an, was tun, was tun?

„Bleib hier“, flüstere ich, nur hörbar für ihn, der gerade neben mir seinen zweiten Schritt nach den ersten setzt. „Ich bleibe“, flüstert er zurück. Doch der andere lässt sein Opfer nicht einfach los: „Komm mit nach draußen, du …! Wir zeigen dir schon, wo du hingehörst!“

Wo bleibt eigentlich der Zugführer? Muss der nicht nachsehen, wer die Notbremse gezogen hat?

Wieder will der junge Mann schließlich hinausgehen. „Bleib hier“, flüstere ich. „Gut, ich bleibe“, antwortet er. Und noch ein drittes Mal dasselbe Spiel, das keines ist: „Was soll das, komm hinaus!“

Wir versuchen zu beschwichtigen: „Heeee!“ Doch auf uns hört so einer nicht. Uns als Zeugen will er wohl vermeiden, vor unseren Blicken tätlich werden, will er nicht. Aber mehr von uns hört und sieht er nicht.

Und wieder wollen beide hinaus auf den Bahnsteig. „Bleib hier“, flüstern wir. „Geh nicht!“

„Helft mir“, murmelt er jetzt und setzt sich hinter mich, auf meinen Sessel. Ich rutsche nach vorne, um für ihn Platz zu schaffen, verliere beinahe den Halt. Wir verschränken unsere Arme um ihn. Der andere steht vor mir, baut sich auf, beschimpft den, der hinter mir sein Gesicht verbirgt. Der Peiniger geht zwar nach draußen, kommt aber mit einem zweiten und dessen Messer nah an unser Fenster heran – Stahl klirrt an Glas: „Wir kriegen dich noch, du ...! Wir finden heraus, wo du wohnst!“

Und sie bewegen sich fort zu dritt, erhobenen Hauptes unter dunklen Kapuzen und mit stolzer Brust.

„Habt ihr die Notbremse gezogen?“ Spät kommt der Zugführer, spät.